Ein Beitrag für ein Siemens-Magazin, habe leider den Namen vergessen, kann auch kein Belegexemplar mehr finden. Damals wurden noch Vor-Ort-Reportagen erwartet und bezahlt. Those were the days…

 

Die Cargo-Connection

Vertrauen ist schnell, Kontrolle ist langsam. Doch in der Logistikbranche ist Geschwindigkeit die wichtigste Ressource. Am Amsterdamer Flughafen Schiphol haben Siemens Business Services Niederlande und SmartLOXS ein System entwickelt, das nicht nur die Sicherheit erhöht, sondern Logistikprozesse zusätzlich schneller macht.

 

Guy Driebeek sitzt hinter dem Steuer seines Volvo und sucht den Parkzettel vom SAS Radisson Schiphol. Irgendwo auf der Mittelkonsole, zwischen Geldbörse, Notizbuch und Schlüssel, gräbt er ihn hervor. „Wo hätte ich den jetzt bezahlen müssen?“, fragt er ein wenig nachdenklich. Dann steigt er wieder aus und geht zurück ins Hotel, um gleich nicht vor der Ausfahrtschranke des Hotelparkplatzes zu stranden. Das wäre vielleicht nicht wirklich angemessen für jemanden, der sein Geld mit Systemen verdient, die Menschen Einlass und Auslass gewähren.

Doch Driebeeks Fahrigkeit ist heute verständlich. Mit seinen Gedanken ist er schon ganz woanders. Gleich wird er zwei Kilometer weiter wieder in der sengenden Mittagshitze stehen. Und während 100 Meter über ihm die startenden Maschinen und 10 Zentimeter neben ihm die permanent einrollenden 30-Tonner vorbei dröhnen, wird er am Tor von Menzies Global Cargo die ersten stationären Kartenleser des von ihm und SBS Niederlande entwickelten SmartLOXS-Systems installieren. Scott Blacklock, der Sicherheitschef von Menzies, hat schon zwei Mal angerufen. Man warte bereits. Alle wollen so schnell wie möglich, dass Guy Driebeeks System funktioniert.

Menzies Global Cargo ist eines von 32 Luftfrachtunternehmen, das direkt auf dem Gelände des Amsterdamer Flughafens Schiphol operiert. Ein so genannter First-Level-Cargo-Handler, der hier nichts anderes tut, als Frachtflugzeuge fachgerecht zu be- oder entladen. Wie ein wuchernder Kranz legen sich die nackten, funktionalen Zweckbauten der Frachtunternehmen um die diversen Start- und Landebahnen Schiphols. Jährlich kommen neue Komplexe hinzu, meist mitten auf die grüne Wiese gepflanzt, da, wo gerade die nächste Landebahn ins Gelände asphaltiert wird. Schiphol wächst, und am schnellsten hier wächst das Geschäft mit der Luftfracht. Über 5 Prozent im letzten Jahr. Computer, Fische, Reifen, Autos, Pferde, Leichen, es gibt kaum etwas, was nicht immer öfter per Flugzeug in alle Welt transportiert wird. In Sachen Aircargo ist Schiphol die Nummer vier in Europa.

Zu dem wenigen, was derzeit noch schneller wächst als das Cargo-Business, gehört das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle im Luftfahrtwesen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist alles, was mit Flugzeugen zu tun hat, ins Visier der Sicherheitsexperten geraten. Nationale und internationale Vorschriften wurden massiv verschärft. Mit direkten Folgen für die Luftfrachtunternehmen. Denn die 17 Areale, auf die sich die zugelassenen Unternehmen verteilen, sind höchst sensible Bereiche. Wer sich hier unberechtigt Zugang verschafft, kann einiges anstellen. Deshalb warten alle so gespannt auf SmartLOXS, ein System, das einen wichtigen Teil der logistischen und sicherheitstechnischen Abläufe aller Amsterdamer Cargo-Companies vereinheitlicht und optimiert.

Wer SmartLOXS und seine Bedeutung für die Fracht-Verlader verstehen will, muss sich nur für einige Zeit an die Zufahrt zu Menzies stellen. Denn SmartLOXS soll zunächst die größte Herausforderung in den Griff bekommen: Die enorme Menge an Menschen, die permant in das Areal hinein- und wieder hinaus will. Und der Andrang vor den Schranken ist tatsächlich enorm. Jetzt, zur Mittagszeit, weitet sich die Schlange vor der Zufahrt zu einem mittelschweren Stau aus. LKW, Kleintransporter und PKW wollen hinein, um Waren zu liefern oder abzuholen. Manchmal dauert es nur wenige Sekunden, bis sich die Schranke öffnet. Manchmal auch zwei Minuten. Dann stehen die Mitarbeiter im Abgas der Dieselmotoren und haben alle Hände voll zu tun, die Namen und Kennzeichen zu notieren. Per Hand. Dabei ist erst Mittwoch. „Richtig voll wird es freitags, dann haben wir hier allein über 300 LKW am Tag“, ruft Scott Blacklock über den Lärm eines anfahrenden Brummis hinweg. Der ehemalige Grenzschutzbeamte mit der bemerkenswerten Ähnlichkeit zu Nicolas Cage wurde vor einigen Monaten neu eingestellt, um bei dem britisch-holländischen Cargo-Unternehmen die international verschärften Richtlinen in der Luftfahrt umzusetzen. Sein erster Schritt war, das gesamte Gelände mit Videokameras zu bestücken. „Unser Ziel ist, zu jedem Zeitpunkt zu wissen, wer auf dem Gelände ist, und zwar dort, wo er sein soll“, erläutert der Security Manager.

Nach den Videokameras ist SmartLOXS der zweite, wichtigere Schritt, um die Besucher-Bewegungen auf dem Areal zu kontrollieren. Es wird den Zugang zu den Luftfrachthallen regeln, entsprechende Rechte verteilen oder verweigern, Daten abgleichen und Echtzeit-Kontrolle ermöglichen. Dabei muss es mehr leisten als die Schranke zu einem Hotelparkplatz. Und auch so altmodische Dinge wie Papierstreifen spielen keine Rolle mehr.

SmartLOXS funktioniert drahtlos, und zwar auf der Basis so genannter SmartCards. Auf ihnen sind alle relevanten Daten gespeichert, zum Beispiel der Name der Firma oder der Name des Fahrers samt Passbild. Wer in Zukunft bei einem First-Level-Cargo-Handler wie Menzies Luftfracht anliefern oder abholen will, muss eine solche Karte vorweisen. Die Verteilung der Karten liegt in den Händen der ACN, der Air Cargo Netherlands. ACN ist der Branchenverband der holländischen Luftfrachtindustrie, in dem auch die so genannten Second-Level-Cargo-Handler Mitglied sind, jene Logistik-Unternehmen also, die Luftfracht auf Paletten vorsortieren und bei Firmen wie Menzies anliefern.

Wer in den Besitz eines Cargo-Passes kommen will, wird – sowohl als Firma als auch als Privatperson – vom niederländischen Grenzschutz überprüft. Da liegt die Vermutung nahe, dass sich Widerstand regen könnte gegen die von den Nutzern kaum zu überprüfende Erhebung persönlicher Daten. Doch die Testphase zeigt: die Akzeptanz der Nutzer ist hoch. „Mir ist das egal, das ist jetzt halt so, wenn man am Flughafen arbeiten will“, sagt beispielsweise Gerrit Hartgrink. Der holländische Brummi-Fahrer steht gerade am Export-Schalter von Menzies. Die SmartCard, die er an der Zufahrt vorzeigen musste, wird hier noch einmal eingelesen und mit einem zusätzlichen Buchstaben markiert. Das bedeutet, Gerrit Hartgrink war am Export-Schalter und kann jetzt zur Laderampe fahren, um seine Paletten abzugeben. Bei der Ausfahrt wird er seine Karte noch einmal einlesen lassen. Dann weiß das System, der Trucker ist nicht mehr auf dem Gelände.

Doch es gibt noch weitere Gründe für die hohe Akzeptanz des neuen Systems. Beispielsweise haben es Guy Driebeek und Siemens geschafft, für die Testphase die wichtigsten Cargo-Unternehmen am Flughafen Schiphol ins Boot zu holen. Vor allem KLM Cargo, Aeroground Services und Menzies World Cargo, die drei Big Player im Amsterdamer Frachtgeschäft. Insgesamt haben sich neun Unternehmen dem Versuch angeschlossen. Unterstützung erhielten sie von Cargonaut, einem IT-Dienstleister für die Frachtunternehmen in Schiphol. Cargonaut nennt sich selbst „Community System“, und besser kann man es kaum ausdrücken. Größter Anteilseigner ist der Flughafenbetreiber Schiphol Group, und Cargonaut wiederum ist beteiligt an SmartLOXS, der Firma von Guy Driebeek. Das klingt verwirrend, spiegelt jedoch die Situation einer Branche wider, in der irgendwie alles mit allem zusammenhängt und jeder mit jedem kooperieren muss. Da wird Vertrauen zu einer zweiten Währung, da rückt man zusammen – und bleibt auch gerne unter sich. Entsprechend mühsam ist der Zugang für Dienstleister von außen.

An dieser Stelle erwies sich die Kooperation von Siemens Business Services und SmarLOXS als optimale Konstellation. Denn Guy Driebeek besaß den notwendigen Stallgeruch, um die Logistiker zu überzeugen. Der 36-Jährige hatte bereits viele Jahre für den Containerhafen seiner Heimatstadt Rotterdam gearbeitet und hier ähnliche Sicherheits-Lösungen verwirklicht. Auf der anderen Seite hätte er mit seinem jungem StartUp alleine kaum Chancen gehabt, die Ausschreibung Ende Januar für sich zu entscheiden. „Ohne die Partnerschaft mit Siemens hätte ich den Auftrag niemals bekommen“, weiß Driebeek. Vor allem die technischen Lösungen, die SBS anbieten konnte, sowie der erstklassige Name Siemens machten Driebeek die Wahl des Partners einfach. Das überzeugt auch die Auftraggeber. „Für uns ist es wichtig zu wissen, dass wir bei dieser Lösung ein großes Unternehmen im Rücken zu haben, das schnellen Support und sofortige Hilfe bei Problemen bietet“, ergänzt Scott Blacklock.

Die Vorteile für Siemens liegen vor allem im Zugang zum Marktsegment. „Wir hätten unmöglich mit allen großen und kleinen Logistikfirmen rund um Schiphol verhandeln können“, gibt Bert Snel zu, als Senior Business Development Manager bei SBS zuständig für das Projekt. Dies ist die Aufgabe von Guy Driebeek, der zudem noch auf einen anderen Punkt aufmerksam macht: „Siemens wird in den Niederlanden vor allem als Anbieter von technischen Lösungen angesehen“, sagt Driebeek. Nachgefragt gewesen sei in diesem Fall jedoch eine Business-Lösung, die auf die speziellen Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Logistik-Konzerne abgestimmt ist.

Vor allem mit Blick auf die zukünftige Weiterentwicklung von SmartLOXS birgt die Partnerschaft großes Potenzial. Denn neben der reinen Zugangskontrolle erlaubt das System auch die Verknüpfung mit den logistischen Prozessen zwischen den Frachtfirmen. Dieser zweite Schritt folgt im kommenden Jahr. Dann können einzelne Lieferungen beispielsweise im Voraus angekündigt werden, um nicht nur den Zugang zu den Arealen, sondern auch die Prozesse innerhalb der Frachtbereiche zu beschleunigen. Sogar ein vollkommen elektronisches Dokumenten-Management ist denkbar. Denn das Ziel von SmartLOXS ist nicht nur eine optimale Sicherheitskontrolle, sondern vor allem das Vermeiden von Zeitverlusten durch notwendige Kontrollen. Ein weiterer wichtiger Grund, warum das System von den Beteiligten akzeptiert wird.

Guy Driebeek sieht zudem die Möglichkeit, die aufwändigen Zollkontrollen zu entzerren. Bislang stellen die Tore von Firmen wie Menzies die Zollgrenze bei der Einfuhr von Waren dar. Würde SmartLOXS auch bei den Second-Level-Cargo-Handlern implementiert, ließen sich die Bewegungen der Trucks bis in deren Werkshallen kontrollieren. Würde ein Trucker vom Flughafen bis zu seinem Arbeitgeber eine bestimmte, kurze Zeitspanne benötigen, wäre es wahrscheinlich, dass die Ladung nicht manipuliert worden ist. Dann könnten mögliche Zollkontrollen auch dort stattfinden. Das bedeutet mehr Flexibilität und schnellere logistische Prozesse.

Doch das ist derzeit noch Zukunftsmusik. Klar hingegen ist, dass ein System wie SmartLOXS nicht nur für den Flughafen Schiphol interessant ist. Alle Flug- und Seehäfen haben derzeit einen ähnlichen Bedarf an optimierten Sicherheits-Lösungen. Angesichts des enormen Zusatznutzens rechnet sich Bert Snels von SBS gute Chancen aus, auch andere für das System zu interessieren. Derzeit laufen bereits Verhandlungen mit kleineren Seehäfen in den Niederlanden. Für SBS Niederlande können die neu geschaffenen Kontakte bei den Cargo-Unternehmen zudem der Start für weitere Aufträge sein. Schließlich kann Siemens eine Menge Produkte und Lösungen liefern, die gerade stark gefragt sind: von Röntgengeräten für Luftfracht über Nuklear-Detektoren (*Nuclear Detection Systems*) bis hin zu komplexen Brandschutzsystemen.

Guy Driebeek hingegen denkt schon an die großen Container-Häfen in Malaysia oder Hongkong, die er aus eigener Berufserfahrung kennt. Warum soll nicht auch dort SmartLOXS interessant sein? Auch vor dem Hintergrund dieser Perspektive ist er froh, mit Siemens Business Services einen Partner zu haben, der rund um den Globus präsent ist. Doch noch wagt er es nicht wirklich, daran zu glauben. Schließlich muss er erst einmal diesen Job erledigen. In knapp zwei Monaten sollen alle Komponenten des Karten-Management-System installiert sein. Und der Druck ist hoch. Deshalb wirkt noch vieles improvisiert. In der Abstellkammer des Pförtnerhauses von Menzies etwa. Hier fand sich kein besserer Platz für die Switches als auf den beiden altersschwachen Mikrowellen, die wiederum auf dem Kühlschrank stehen. An den Seiten hängen noch die Netzwerkkabel im dichten Knäuel heraus und verschwinden irgendwo in der Wand. Dafür, stellt Guy Driebeek mit holländischem Charme fest, seien die Kartenlesegeräte, die er gerade aufgestellt hat, bereits genau so, wie auch SmartLOXS bald sein soll: „Wetterfest und idiotensicher.“

 

 

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